Anaïs Mitchell mit „On Your Way“ zu Gast im ZDF Morgenmagazin

Hier geht es zum Sendemitschnitt vom 04.11.22

Anaïs Mitchell ist die Tony®- und GRAMMY®-prämierte Schöpferin des Broadway-Musicals „Hadestown“, für das sie sowohl das Buch, die Musik als auch die Texte schrieb. „Hadestown“ gewann insgesamt acht Tony®-Awards, darunter den Preis für das beste Musical, sowie den GRAMMY® für das beste Musical-Theater-Album. Mitchell wurde 2020 in die prestigeträchtige TIME100-Liste des TIME Magazines aufgenommen – im selben Jahr erschien ihr erstes Buch „Working on a Song – The Lyrics of Hadestown“ (Penguin/ Plume). Zu ihren bisherigen Veröffentlichungen gehören das Original-Studioalbum von „Hadestown“ (2010, mit Justin Vernon und Ani Difranco) und „Young Man in America“ (2012) sowie Neuinterpretationen traditioneller Musik wie „Child Ballads“ (2013, mit Jefferson Hamer) und mit der Grammy-nominierten Band Bonny Light Horseman.

Anaïs Mitchell – Biografie

Die letzten 15 Jahre hat Anaïs Mitchell sozusagen in der Hölle verbracht. Nein, nicht in dieser Hölle, sondern in der facettenreichen Welt von „Hadestown“, einem Musicalprojekt, das sie 2006 in Vermont ins Leben gerufen hatte. Seitdem hat es sich zu einem Tony- und Grammy-gekrönten Broadway-Phänomen entwickelt, dessen Tournee-Editionen inzwischen sogar in Südkorea das Publikum begeistern.

„Die Arbeit an ‚Hadestown‘ hat mir so viel Freude bereitet, doch sie wurde immer umfangreicher und erforderte immer mehr Aufmerksamkeit.“, gibt Mitchell zu. „Ich konnte mich nur noch darauf konzentrieren und musste Scheuklappen für mein anderes kreatives Leben aufsetzen.“ 

Wie für viele andere Künstler auch, bot die COVID-19-Pandemie Mitchell jedoch unerwartet eine Gelegenheit, sich wieder mit ihrer eigenen Musik zu beschäftigen. Das Ergebnis ist ihr neues, selbstbetiteltes Album, das sie zusammen mit befreundeten Kollegen von Bon Iver, The National und ihrer eigenen Band Bonny Light Horseman aufgenommen hat. Es sind die ersten neuen Songs unter Mitchells eigenem Namen seit dem 2012 erschienenem „Young Man In America“.

„Ich war im neunten Monat schwanger, als die Pandemie New York erreichte. Wir entschieden uns in letzter Minute, die Stadt zu verlassen und das Baby in Vermont zu bekommen.“, erzählt sie. „Eine Woche später kam es zur Welt und wir befanden uns, wie alle anderen auch, inmitten dieser noch nie dagewesenen Stille. 

Es fühlte sich an, als könnte ich von oben auf mein Leben sehen: ‚Oh, da ist New York City. Da ist ‚Hadestown‘. Da bin ich nur mit einem Kind.‘ Es war eine gewisse Art von Stress und Erwartungshaltung.

In Vermont zogen wir auf die Farm meiner Familie und wohnten mit einem neuen Baby im alten Haus meiner Großeltern. Ich schaute mir Bilder auf meinem Handy an, die ein paar Monate zuvor entstanden waren, und fragte mich: ‚Wessen Leben war das?‘ Dieses Album und die darauf enthaltenen Songs sind in dieser Zeit entstanden. Ich kam wieder in einen Flow, den ich schon lange nicht mehr gespürt hatte.“

Mitchell, die von NPR als „eine der größten Songwriterinnen ihrer Generation“ bezeichnet wird, ist eine Meisterin des erzählenden Folksongs, der Poesie und der Balladendichtung. Diese Talente werden schon in den ersten Momenten des neuen Albums offensichtlich, wenn Mitchell von einer, wie sie es nennt, „unerträglich romantischen“ Fahrt über die Brooklyn Bridge erzählt, untermalt von der herzzerreißenden Saxophonbegleitung von Bon Iver-Mitglied Michael Lewis. „Nachdem ich New York verlassen hatte, war ich in der Lage, einen Liebesbrief an die Stadt zu schreiben, wie ich es nie konnte, als ich noch dort lebte.“, erklärt sie. „Es war wie, ‚Scheiß drauf. Das ist es, was ich fühle.‘ Es gibt nichts Schöneres, als nachts über eine der New Yorker Brücken zu fahren, neben jemandem, der Dich inspiriert.“

Das von ihrem Bonny Light Horseman-Bandkollegen Josh Kaufman produzierte Album gleicht einer Chronik der Rückbesinnung auf Mitchells Wurzeln in Vermont, die ihr Leben und ihre Musik so stark geprägt haben. In „Bright Star“ findet sie sich mit dem Gedanken ab, in der vertrauten Umgebung des Hauses ihrer Großeltern ihren Frieden zu finden. „Revenant“ hingegen wurde durch das Durchblättern alter Tagebücher und Briefe ihrer Großmutter als auch von ihr selbst inspiriert.

„Es war eine sehr pandemische Aktivität.“, fährt sie fort. „Dieses Haus ist buchstäblich mein Glücksort. Ich erinnere mich, wie ich als Kind dort auf dem Teppich lag und ein Sonnenstrahl durch die Glasschiebetür fiel. Es hat etwas an sich, das mich mit meiner Kindheit und einer sehr freien, fantasievollen, kreativen Zeit verbindet. ‚Revenant‘ hat viel mit diesem Haus zu tun und damit, dass ich mich wieder mit meinem kindlichen Ich verbinden kann.“

Mitchell neigt ihrer Ansicht nach dazu jemand zu sein, „die denkt, dass etwas hart sein muss, damit es gut oder schön ist“. Doch diese Einstellung hat sich geändert – auch durch die tiefe Verbundenheit mit Musikern, die sie durch das 37d03d-Kollektiv kennengelernt hat, welches von Aaron und Bryce Dessner von The National und Justin Vernon von Bon Iver gegründet wurde. Während der Pandemie nahm sie mit einigen dieser Künstler an einer „ein-Song-pro-Tag“-Schreibgruppe teil – etwas, von dem Mitchell sagt, es sei normalerweise das genaue Gegenteil von dem, was sie sonst mache. „Aber es hat mir wirklich geholfen, Zugang zu einer Art Vertrauen, Intuition und Flow zu finden. Einige der neuen Songs sind während dieser Zeit entstanden.“

„Es setzte etwas in mir frei, das es mir ermöglichte, eine Reihe von Songs zu beenden, an denen ich schon länger gearbeitet hatte. Ich fühlte mich ein wenig gelähmt, weil ich nicht wusste, wie ich weitermachen sollte.“, erzählt sie. „Da niemand auf Tournee war, konnte ich sie auch niemandem vorspielen, bevor wir ins Studio gingen. Normalerweise hätte ich die Stücke vorher ausgearbeitet. Hier konnte ich sagen: ‚Hier sind all diese brandneuen Songs. Lasst uns herausfinden, was aus ihnen werden kann!‘ Das war wirklich aufregend.“

Dieser Entdeckungsprozess fand in den Dreamland Recording Studios außerhalb von Woodstock, N.Y., statt, die Mitchell als „diese seltsame, schrullige, wunderschöne Kirche – mein Lieblingsstudio auf der Welt“ beschreibt. Kaufman, Lewis und Big Red Machine-Schlagzeuger JT Bates bildeten die Kernband um Mitchell, während Aaron Dessner und Thomas Bartlett unter der Woche als Gitarrist bzw. Pianist zu den Sessions stießen.

„Nachdem die entsprechenden COVID-Tests negativ ausgefallen waren, „war es ein ganz außergewöhnliches Gefühl, sich zu umarmen, zu küssen und gemeinsam im selben Raum zu spielen“, erzählt Mitchell. „Wir tauchten eine Woche lang in diese Welt ein und verließen das Studio so gut wie nicht mehr. Ich fühlte mich sehr sicher mit all diesen Jungs. Es war warm und herzlich.“

Mitchell sagt, dass diese besondere Umgebung unerwartete Details in dem Material zum Vorschein brachte, das fast vollständig live aufgenommen wurde. „Manchmal haben wir versucht, beispielsweise den Gesang separat aufzunehmen, aber am Ende des Tages standen wir doch wieder zusammen in diesen einen Raum.“, Nachdem sie den größten Teil des Tages damit verbracht hatten, Overdub-Versionen von „Little Big Girl“ aufzunehmen, die niemandem gefielen, gaben die Musiker auf und nahmen das Stück erneut live auf. „Wir waren so frustriert, dass wir reingingen und ich sagte: ‚Ich werde das einfach so hart singen, wie ich es verdammt noch mal kann.‘ Ich hatte das Gefühl, dass der Song genau das sein wollte und dass all diese Songs so live wie möglich aufgenommen werden sollten.“, sagt Mitchell.  Die Ausnahme von der Regel waren Nico Muhlys Arrangements für Streicher und Flöte, die nachträglich von New York City aus hinzugefügt wurden.

Mitchell wird ihre neuen Songs 2022 live in den USA und Europa vorstellen. Dabei wird sie von den Musikern des Albums begleitet werden. Sie kann es kaum erwarten, die Klänge und Schauplätze, welche die Songs zum Leben erwecken, auf der Bühne weiter zu verfeinern. „Ich habe viel Zeit damit verbracht, in der Stimme anderer Charaktere zu schreiben, besonders bei ‚Hadestown‘. Das macht mir Spaß, aber diese Songs sind nicht so.“, sagt sie. „Seltsamerweise sind sie alle von mir. Der Erzähler bin ich. Deshalb fühlte es sich richtig an, das Album selbst zu betiteln. Nachdem ich so viele Jahre daran gearbeitet habe, die Geschichten anderer zu erzählen, sind es nun meine eigenen.“


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