Album: “Songs Of L. And Hate“
VÖ: 22. Oktober 2010
Single: „Desillusion“
Label: „Staatsakt“
Das Leben als Coverversion
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich an einem trüben Tag im August 2009 auf meine Mitfahrgelegenheit von Berlin nach Hamburg wartete. Als Treffpunkt war das Cafe „Entweder Oder“ in Berlin- Prenzlauer Berg ausgemacht. Dachte ich zumindest. Eines von diesen unter Prenzlauer-Berg-Hassern unbeliebtes, von Touristen sehr gern frequentiertes Café der Marke: „Wie wir Ostdeutschland schick gemacht haben“. Ich wartete dort eine geschlagene Stunde auf Christiane Rösinger und Andreas Spechtl, die mich netter Weise auf ihre Fahrt ins Clouds-Hill-Tonstudio nach Hamburg mitnehmen wollten. „Hallo Andreas, ja…Wo sitzt ihr denn? Was? Im Eingangsbereich. Na, ich sitze draußen. Was? Ihr sitzt auch draußen? Komisch… Ich kann Euch weit und breit nicht sehen…“ Nach fünf Minuten Orientierungsschlagabtausch am Telefon beschließen wir gegen Ende endlich einmal den Treffpunkt zu überprüfen: „Ich sitze im „Entweder Oder“, „Hä? Ich dachte wir treffen uns im „Sowohl als auch“?“, „Nein, ich glaube wir hatten „Entweder Oder“ gesagt“ Die Fahrt nach Hamburg schließlich ist mir nicht weniger wortverspielt und sprachverliebt in Erinnerung: „Wir wollen das Album „Songs Of L. And Hate nennen – in Anlehnung an das „Songs Of Love and Hate“- Album von Leonard Cohen“ „Eine Coverplatte?“ „Nein, keine Coverplatte! Wir wollen einfach nur den Titel übernehmen. Und eben „L.“ statt Love“ „L. statt Love?“ „Ja, weil die Liebe so ein abscheuliches Wort ist für eine so verachtungswürdige Sache, dass man es lieber gar nicht erst aussprechen sollte…“
„Songs Of L. And Hate“
Ich kann mich nicht daran erinnern, wann jemals durch die Abkürzung eines einzigen Wortes irgendeines allgemein bekannten Popalbumtitels ein neuer Albumtitel entstand: „Harvest M.“, „P. Sounds?“, „Old N.?“ Aber es geht ja noch weiter: Auf dem Cover von „Songs Of L. and Hate“ findet sich dazu auch noch eine gelungene Adaption des legendären „Bringin ? it all back home“-Covers des Zitatkönigs Nummer-Eins: Bob Dylan. Auf dem Foto wird der große Bob Dylan von Cate Blanchet gespielt, die nun wiederum von Christiane Rösinger gedoubelt wird – und die rauchende Grazie im roten Kleid wird hier zum reizenden Jüngling im roten Anzug: Andreas Spechtl. Dass in der beschwingten Agit-Poet-Single „Hauptsache Raus“ auch noch der Romantiker Heinrich Heine zitiert wird und mit „These Days“ die von Jackson Browne für Nico geschriebene Stubenhockerblues-Symphonie so wunderbar herzergreifend ins Deutsche übersetzt wurde, lässt die Popfolkhistorie auf „Songs Of L. And Hate“ aus allen Nähten platzen, während die vom Klavier getragenen Songs doch eigentlich eher an das Instrumentarium einer John Cale-Platte erinnern, und Christiane Rösinger nach eigener Aussage doch eigentlich immer eher ein Neil-Young denn Bob-Dylan-Fan war…
Das Leben ist keine Produzentenidee
Dass sich die vielleicht größte, lebende deutsche Poptexterin hier so offensichtlich wie gleichermaßen unterschwellig in den Referenz-Tempel der männlichen Popheiligen begibt, unterstützt von dem kongenialen S.C.U.M.-Pop-Folkloristen Andreas Spechtl von der Gruppe Ja, Panik, der sich für nahezu alle Instrumente und Arrangements verantwortlich zeigt, sollte der männliche Jäger- und Briefmarkenpopper mit den Billy-Regalen voller Dylan-Boxsets und Greil Marcus-Expertisen lieber gleich als Glücksfall begreifen. Es geht hier nämlich gleichermaßen um größt-mögliche Respekterweisung wie eben auch darum. der alten Punk-Maxime die Treue zu schwören: „D.I.Y! Do it yourself: No Gods, No Masters!“ Und ohne jetzt – nur weil eine Frau sich auf dieser Platte für die Komposition dieser wundervollen Lieder verantwortlich zeigt gleich auf Genderpopgespräche kommen zu wollen: Zeigen Sie mir in diesem Popkopieland Deutschland doch mal eine erwachsene Songschreiberin jenseits der 40, der es gelungen ist, abseits der männlichen Unterhaltungsindustrie mit ihrem Angestelltenzirkus aus Verlagen, Songschreibern und Produzenten ihre eigene Musik zu veröffentlichen.
Liederzyklus
So erzählt uns Christiane Rösinger auf „Songs Of L. And Hate“ Lieder vom eigenen Leid. Von der damit verbundenen Lethargie, von der ewig plagenden Liebe und von dem daraus resultierenden, wundersamen Leben. Auf der Besetzungscouch sitzt ein Leonard, oder ein Lars, oder Liane, oder Lisa, oder welche L ’s einem sonst so in diesem lakonischen wie lustvollen Leben so begegnen. „Entweder Oder“ meinen Sie? Nein, ich bin mir jetzt ganz sicher: „Sowohl als auch!“ Das ganze Leben spielt sich auf diesem Album ab. Ein abgeschlossener Liederzyklus, von Januar bis Dezember, von Frauen und Männern, Familien und den ewigen Singles, aus dem Westen und aus dem Osten. Wien, Berlin, und ganz bestimmt auch das alte Hamburg… Jedes weggelassene Lied auf diesem Album hätte einen argen Verlust bedeutet: Für das Leben – und die Liebe. Für die Originale, und ihre
Diebe…
Text: Maurice Summen